Montag, 3. Mai 2010

Linke Parteiräson

Finkelstein kommt nicht nach Berlin
Von Werner Pirker
Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Norman Finkelstein hat angesichts der Auseinandersetzungen um die mit ihm in Berlin und München geplanten Vorträge zum Thema »Israel, Palästina und der Goldstone-Bericht zum Gaza-Krieg« den Flug nach Deutschland storniert. Durch den »Zirkus« um seine Person wäre sein Anliegen, zur Aufklärung über die Menschenrechtssituation in Gaza beizutragen, in den Hintergrund gedrängt worden, begründete Finkelstein seine Absage. Somit hat die Diskussionsverhinderungsfront einen weiteren Sieg in ihrem Kampf gegen die Meinungsfreiheit erzielt. Doch sei dies, wie Rolf Verleger von der »Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost« erklärte, ein Pyrrhussieg. Denn die Attitüde, Kritiker der israelischen Kriegs- und Unterdrückungspolitik in Bausch und Bogen als »Antisemiten« und »Geschichtsrevisionisten« zu verdammen, stößt zunehmend auf Unverständnis und Empörung.

Gruppen wie die neokonservative Internetplattform Honestly Concerned oder der Bundesarbeitskreis Shalom in der Linksjugend meinen bestimmen zu können, welche Meinungsäußerungen zum Nahost-Konflikt zulässig sind und welche vorneweg als diskussionsunwürdig zu ächten sind. An die Gleichsetzung von Antizionismus und Antisemitismus reiht sich der Vorwurf des Geschichtsrevisionismus gegenüber Gegnern der israelischen Besatzungspolitik. Die auf Diskussionsverhinderung angelegte Strategie der Freunde Israels hat ihren Grund auch darin, daß sie einer ernsthaften Nahost-Debatte nicht gewachsen wäre. Denn was sie argumentativ zu bieten haben, ist unterstes Polizeispitzelniveau. »Finkelstein ist international bei Antisemiten beliebt«, schreibt Benjamin Krüger, »weil ihm allein durch die Tatsache, daß er sich als Jude und Sohn von Holocaust-Opfern bezeichnet, Glaubwürdigkeit und absolute Wahrheit bescheinigt wird.« Ist man als jüdischer Israel-Kritiker nur noch ein selbsternannter Jude und angeblicher Sohn von Holocaust-Opfern? Als besonders perfid empfindet der deutsche Philosemit aber die Tatsache, daß er einen Sohn von Holocaust-Opfern nicht so ohne weiteres als Antisemiten und Holocaust-Leugner bloßstellen kann, wie er das gerne tun würde.

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS), immerhin der Think-tank der Linkspartei, ist der Aufforderung intellektuell beschränkter Denunzianten, die Raumzusage für die Veranstaltung mit Norman Finkelstein zurückzuziehen, nachgekommen. Das ist weder Zufall noch bloßes opportunistisches Einknicken vor einer prozionistischen pressure group. Der RLS-Vorstand selbst dürfte das Problem sein. Er scheint Gregor Gysis Aufforderung, sich vom Antiimperialismus zu verabschieden, auf der ganzen Linie Genüge tun zu wollen. Wer die von Angela Merkel postulierte prozionistische Staatsräson auch zur linken Parteiräson machen will, steht mit einem Fuß bereits im imperialistischen Kriegslager.

Quelle: http://www.jungewelt.de/2010/02-22/035.php

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